Absoluter Geist

Abgrenzung, Erklärung und Einteilung des absoluten Geistes

Kai Froeb, 2007/2015

[PDF Version]

Was ist der absolute Geist und wie ist seine Einteilung?

Der Geggenstand den Hegel mit “Geist” bezeichnet, ist nichts geheimnisvolles, sondern der Gegenstand, mit dem sich an den modernen Universitäten klassisch die “Geisteswissenschaften,” oder modern “Gesellschaftswissenschaften” oder “Kulturwissenschaften” beschäftigen. (in den antiken philosophischen Systemen hieß dieser Systemteil “Ethik”).

Der absolute Geist als dritter, abschliessender Teil der Philsophie des Geistes befasst sich mit den Bereichen Kunst, Religion und Philosophie, in denen wir unsere Gedanken und Handlungen reflektieren, insbesondere unsere Gründe, Werte und Ziele hinter ihnen. Solche grundlegenden Werte und Konzepte bestimmen unser Leben auf tiefster Ebene und durch deren Reflexion kommen wir einzeln und kollektiv zu einem höheren Niveau des Verständnisses und unserer Freiheit.

Der absolute Geist ist insofern “absolut,” als er in diesem Bereich nicht durch etwas anderes als durch sich selbst und seine eigene Stufe der Entwicklung beschränkt ist (dies die Hegelsche Verwendung des Wortes “Absolut,” i.S. von unbeschränkt und insofern “frei”).

Abgrenzung gegenüber der normalen Reflektion im objektiven Geist

Im “Objektiven Geist” findet auch eine Reflektion der Ziele/Zwecke (Zweck kommt übrigens ethymologisch von der Zwecke, die die Zielscheibe in der Mitte festhielt) usw statt, aber zum einen (vermittelt durch Familie/Sozialisation, aber auch Gesetz und Kultur) als individuelles Gewissen, zum anderen in Form von positivem Bezug auf/ Umgang mit den bestehenden Zwecken und Mitteln (typische Fragen: wie kriege ich Kinder und Kariere unter einen Hut, wie komme ich zu Geld, wie konsolidieren wir den Staatshaushalt usw)

Dabei stellt ein Mensch erst eimal weder die gegebenen Mittel, noch seine Ziele in Frage. Wenn er aber dabei auf Problem stößt (oder auch etwas neues machen will), dann überlegt er auch, wie er etwas anstellen soll, oder stellt gar seine Ziele in Frage, überlegt sich neue Strategien/neue Prioritäten oder gar neue Ziele.

Die passiert beides sowohl auf der Ebene des subjektiven Geistes der Einzelnen Subjekte, wie auch auf der Ebene des objektiven Geistes innerhalb von Institutionen usw.

Problem ist hierbei, dass dabei aus praktischen Gründen immer bestimmte Vorgaben als gegeben genommen werden, so dass die Neueinsichten immer gewisen Beschränkungen unterliegen.

Bestimmung absoluter Geist

Im absoluten Geist wird die menschliche Theorie und Praxis des endlichen (subjektiven und objektiven) Geistes hingegen ganz grundsätzlich reflektiert (nicht nur nach praktischen Gesichtspunkten), einschließlich ihrer Grenzen. Dabei werden die Zwecke und Maßstäbe nochmals extra, explizit zum Thema gemacht, auch durch Reflektion darauf, was das bedeutet, und dadurch auch mit Blick über die “kurzatmige Bewährung im gerade Gegebenen” hinaus, mir der Möglichkleit, bestehende Grenzen des Blicks (durch die Anpassung/Fokussierung auf das “realistische,” gegebene) zu überschreiten.

Gemessen wird hier an den viel grundsätzlicheren Gesichtspunkten des “Schönen, Wahren, Guten.” Damit befreit sie die Überlegungen des Subjektiven und objektiven Geistes von ihren dort vorhandenen Schranken, und hat damit die Möglichkeit, in der Befreiung davon, zu ganz grundsätzlichen Überschreitungen bestehender Denkschranken zu kommen.

Damit dies möglich ist, muss ich dann in der Philosophie auch tatsächlich alle anderen Maßstäbe außen vor lassen, und mich tatsächlich auf das Finden der Wahrheit als obersten Maßstab ganz einlassen.

Rückwirkung auf den endlichen Geist

Diese Erkenntnisse haben dann natürlich wieder Rückwirkungen auf den subjektiven Geist (z.B. handelt ein Individuum, welches sich die Lehren des Buddhismus einleuchten lässt, wahrscheinlich anders als ein anderes) und auf den “objektiven Geist” (denn selbstverständlich will man das für richtig erkannte auch umsetzen).

Die Wirkung geht dabei zunächst über den “subjektiven Geist,” sprich die Einzelindividuen (jedes Wirken ist über die Individuen vermittelt!), und über die Kultur und später dann auch (durch Änderungen in den Institutionen) auf den “Objektiven Geist” (bzw., wo nicht, gibt es auf längere Sicht “Sollbruchstellen”: Untergang, Revolution o.ä.)

Insofern die im “absoluten Geist” gewonnenen Erkenntnisse dann zur Umbildung der Wirklichkeit führen (also verwirklicht werden), ergeben sich Parallelen zur Idee in der Logik.

Verhältnis von Weltgeschichte und Geschichte der Kunst, Religion und Philosophie

Die Staaten haben ihre eigene Geschichte, zusammen: Weltgeschichte. Ebenso hat jeder Teil des absoluten Geistes (Kunst, Religion, Philosophie) seine eigene Geschichte, die mit der Weltgeschichte verbunden ist. Wegen der oben beschriebenen Freiheit des absoluten Geistes (seiner Reflektion, seiner Objektivität und seiner Möglichkeit Grenzen zu überschreiten)) können diese Geschichte des absoluten Geistes nicht einfach auf die Weltgeschichte reduziert werden, also nicht von dieser einfach abgeleitet werden (dies z.B. gegen verbreitete Vorstellungen des Basis-Überbau-Konzeptes des “HistoMats”).

Die Geschichte dieser Reflektion ist die Geschichte der einzelnen Sphären des absoluten Geistes, die Sphäre des Wirkens auf den objektiven Geist ist die Kultur und öffentlich Meinung. Von da wird es zunächst partiel umgesetzt in Familien, Institutionen usw, bis in den Staat. Diese objektiven Änderungen sind dann Gegenstand der Weltgeschichte.

zur Reihenfolge der Einteilung des absoluten Geistes

Gründe für die von Hegel angegebene Sequenz (Kunst-Religion-Philosophie)

Es gibt gute Gründe dafür, dass Hegel die Sequenz so aufbaut, wie er es macht:

  • Parallele mit Anschauung - Vorstellung - Denken im theoretischen Geist - siehe dazu aber weiter unten Fussnote 4.
  • Parallele zum subjektiven Geist, dieser fängt auch mit der Anthropologie an - und so wird auch im absoluten Geist, nach der 2.Natur, dem objektiven Geist, ebenfalls wieder mit etwas Sinnlichem angefangen
  • in der Kunst ist das Kunstwerk in der Anschauung unmittelbar gegeben - in der Religion stehen wir Gott gegenüber, die Religion handelt von der Relation zu Gott. Das spricht für die Kunst an erster, unmittelbarer Schritt und der Religio als zweite, vermittelnder Stelle.
  • In der Phänomenologie des Geistes (und später in der Geschichts- und Religionsphilosophie und der Enzyklopädie) zieht Hegel Parallelen zwischen der Kunstreligion der Griechen und der Religion der Vorstellung des Christentums (und der Philosophie seiner Zeit) - diese historische Sequenz spricht also für Hegels Einteilung
  • (Der Text Drei Weisen der Erkenntnis Gottes von Martin Grimmsmann und Lutz Hansen auf behandelt ebenfalls Gründe, für die von Hegel gewählte Sequenz)

Gründe die Sequenz umzustellen (Religion-Kunst-Philosophie)

Einige dieser angegebenen Gründe sind aber auch schwach. Ich denke demgegenüber, dass es gewichtigere Gründe dafür gibt, die Sequenz in Religion - Kunst - Philosophie umzustellen:

  • Die neue Sequenz Religion-Kunst-Philosophie ist nicht mehr einfach aufsteigend (Anschauung - Vorstellung - Denken), sondern dialektisch1.
  • Kunstwerke sind als Kunstwerke nicht einfach nur so, “unmittelbar,” sondern erfordern einen Bewusstseinsprozess beim Künstler und beim Betrachter. Hingegen ist in der Religion in der Tat oft ein einfaches Gefühl der Ausgangspunkt (diese letztere Parallele gerade zu vermeiden, gegen eine nicht auf Vernunft sondern nur auf die Berufung durch das Gefühl zurückgeführte Religion, wie sie zu seiner Zeit en Vogue zu werden begann, dürfte allerdings vermutlich einer der Hauptantriebsfedern Hegels gewesen sein, die Religion in seiner Darstellung des Systems NICHT an die erste Stelle zu stellen).
  • in der Kunst ist eine Differenz: die Kunst verobjektiviert das Verständnis des Absoluten in der Natur (Parallelen zur Natur und zum Objektiven Geist), im künstlerischen Prozess ist eine Dualität zwischen Künstler und Kunstwerk (und zwischen Kunstwerk und Betrachter). Die Religion drückt sich in Kunstwerken aus, über den Prozess dieser Verobjektivierung kommt es zur Philosophie (Kunst ist auch nicht vor Religion sondern gleichzeitig oder Folge von Religion).
  • in der Religion ist ein “unmittelbares Wissen” von Gott gegeben: religiöses Gefühl (Jacobi, Romantiker), unmittelbares Zeugnis der Schriften usw (insofern die Religion in der Subjektivität geschieht, passt sie zum subjektiven Geist, insofern sie der Anfang der Erkenntnis ist ebenfalls)
  • Die Dualität zwischen Mensch und Gott (die für eine Stellung der Religion an 2.Stelle spricht) trifft nicht alle Religionen, der Buddhismus ist etwa so nicht erfasst (zudem soll ja auch bei Hegel die Dualität nicht die Wahrheit der Beziehung von Mensch und Gott sein, sondern die Einheit)
  • Es ist nun auch besser ersichtlich, inwiefern Religion und Philosophie Gemeinsamkeiten haben (die 1. und 3. Stufe einer dialektischen Triade haben haben mehr Gemeinsamkeiten, die 1.Stufe ist “an sich” die 3.Stufe).2

Umstellung der Sequenz bei Hegel selbst

Bemerkenswerterweise spricht Hegel selbst in seinem Vorwort zu seiner “Philosophie der Weltgeschichte”3 von der Abfolge “Religion - Kunst - Philosophie” und gibt dafür sehr gute weitere Gründe an:

Alles geistige Tun hat nur den Zweck, sich dieser Vereinigung bewußt zu werden, d. h. seiner Freiheit.

  • Unter den Gestalten dieser gewußten Vereinigung steht die Religion an der Spitze. In ihr wird der existierende, der weltliche Geist sich des absoluten Geistes bewußt, und in diesem Bewußtsein des an und für sich seienden Wesens entsagt der Wille des Menschen seinem besonderen Interesse; er legt dieses auf die Seite in der Andacht, in welcher es ihm nicht mehr um Partikuläres zu tun sein kann. Durch das Opfer drückt der Mensch aus, daß er seines Eigentums, seines Willens, seiner besonderen Empfindungen sich entäußere. Die religiöse Konzentration des Gemüts erscheint als Gefühl, jedoch tritt sie auch in das Nachdenken über: der Kultus ist eine Äußerung des Nachdenkens.

  • Die zweite Gestalt der Vereinigung des Objektiven und Subjektiven im Geiste ist die Kunst: sie tritt mehr in die Wirklichkeit und Sinnlichkeit als die Religion; in ihrer würdigsten Haltung hat sie darzustellen, zwar nicht den Geist Gottes, aber die Gestalt des Gottes; dann Göttliches und Geistiges überhaupt. Das Göttliche soll durch sie anschaulich werden, sie stellt es der Phantasie und der Anschauung dar. -

  • Das Wahre gelangt aber nicht nur zur Vorstellung und zum Gefühl, wie in der Religion, und zur Anschauung, wie in der Kunst, sondern auch zum denkenden Geist; dadurch erhalten wir die dritte Gestalt der Vereinigung - die Philosophie. Diese ist insofern die höchste, freieste und weiseste Gestaltung4.

bessere Parallelen zum Rest des Systems

Es ergeben sich auf diese Weise mehr sinnvolle Parallelen mit dem Rest des Systems (man vergleiche die folgenden Parallelen mit den Parallelen, die man erhielte, wenn man jeweils nach “orthodoxer Lesart” an erster Stelle Kunst und an zweiter Stelle Religion setzt):

  • in der Gliederung der Sittlichkeit:
    • Famile:Religion,
    • Bürgerliche Gesellschaft:Kunst,
    • Staat:Philosophie/Wissenschaft
  • bei den Berufen:
    • Bauern:Religion,
    • Handwerk/Bürgertum:Kunst,
    • Beamten:Philosophie/Wissenschaft
  • bei den geographischen Grundlagen der Weltgeschichte:
    • Hirten/Nomaden in Wüsten, Steppen und Gebirgen:Religion,
    • Hochkulturen an Flüssen mit Verwaltungsresidenzen:Kunst,
    • Handelsstädte mit Hochseeschiffahrt: Philosophie/Wissenschaft
  • in der Gliederung des Geistes:
    • Subjektiver Geist:Religion,
    • Objektiver Geist:Kunst,
    • Absoluter Geist: Philosophie
  • in der Gliederung der Kunst illustrieren die neue Parallele besser, warum denn die klassische Kunst/Bildhauerei der Höhepunkt der Kunst ist (ihre Stellung entspricht der Stellung der Kunst im absoluten Geist) und die romantische Kunst einen Überschuss über die Kunst hinaus darstellt: * Symbolische Kunst/Architektur:Religion, * Klassische Kunst/Bildhauerei:Kunst, * Romantische Kunst/Malerei-Musik-Poesie:Philosophie

Wahrscheinlich erhält man das beste Systemverständnis, wenn man jeweils verschiedene Sequenzen durchspielt und schaut, was sie für Auswirkungen haben.

empirisch-historische Plausibilisierung der Sequenz Religion-> Kunst->Philosophie

Religion -> Kunst

Untersucht man die Kunstprodukte im ihrem Verhältnis zur Religion, dann zeigt die überwältigende Mehrzahl, dass die Kunstwerke ihren Inhalt aus der Religion schöpfen, diese darstellen, nicht das umgekehrt die Religion sich aus der Kunst ableitet:

  • in der Architektur fallen mir hier die Ägyptischen Pyramiden und Tempel ein, der jüdische Tempel, die griechische Tempel, die Kirchen und Kathedralen, die arabischen Moscheen
  • in der Skulptur die Götterbilder: von den Schnitzereien der Steinzeitmenschen, Eskimos und afrikanischen Völker über die den ägyptischen und assyrischen, über die griechischen und römischen, bis zur christlichen Darstellung (etwa in den Altarschnitzereien und Kreuzdarstellungen) von Jesus, Maria und anderen biblischen Themen
  • in der Malerei von der Höhlenmalerei bis zur Darstellung der christlichen Motive in den Wänden, Fensterbildern und Altarbildern von Kirchen und Klöstern und auf Gemälden
  • in der Musik die Benutzung von Musik als Untermalung von religiösen Festen, Tänzen und Liturgien, von vielen afrikanischen Völkern bis hin zur Bachschen Messe
  • in der Poesie die vielen Hervorbringungen auch religösen Inhalts in der griechischen, moslemischen und christlichen Kultur (gerade die ersten Hervorbringungen sind ja Darstellungen der religiösen Mythen und religösen Bücher selbst).

Auch das zweite Thema vieler Kunst (zumal nach den gängigen marxistischen Basis-Überbau-Theorien), die Darstellung/Verherrlichung des Staates und des Herrschers, sind (insbesondere in den Anfangszeiten) religiös geprägt: der Herrscher (auf den der Staat sich insbesondere in der Anfangszeit konzentriert) ist selbst Gott, Gottähnlich, oberster Priester usw: das ist der Fall bei praktisch allen asiatischen und orientalischen Herrschern und Staaten der Antike und geht bis zum absolutistischen Sonnenkönig und Gottesgnadentum (Eric Voegelin hat in seiner Abhandlung “Die Politischen Religionen” von 1938 weitere Parallelen bis in die politischen Richtungen und Parteien des 20.Jahrhunderts gesehen).

Und umgekehrt könne wir auch aus den Kunstproduktionen schließen, was die Menschen im Innersten bewegt: in der Neuzeit kommen Gedanken der Freiheit und des Individuums hinzu (sich entwickelnd u.a. aus der christlichen Religion) sowie der moderne “Gott des Mammons” (bis hin zur Werbung).

Am Beispiel der Musik

Zwar hat im sekulären Westen die dezidiert christliche Musik heutzutage eher einen Nischencharachter, aber (nicht zuletzt über seit Jahrhunderten praktizierte musikalische Erstsozialisation mittels Kirchenchor usw) sie wirkt als Tradition weiter (etwa beim Blues & Soul die sich formell und inhaltlich von den Spirituals herleiten). Bei vieler außereuropäischer “World Music” ist es eh selbstverständlich, dass diese ihrer Religion in ihrer Musik Ausdruck geben (und auch die Reggae-Musik hat ihre Wurzeln in der Reggae-Religion).

Sodann hat Musik, und gerade auch die populäre, “unreligiöse,” doch den zumindest impliziten Anspruch, Ausdruck des (nicht unbedingt philosophisch durchdacht und abgeleiteten) Lebensgefühls einer Generation (oder zumindest einer Gruppe darin) zu sein, vom Rock-and Roll der 50er Jahre über die Flower-Power etc der Sixties über Punk bis hin zu HipHop und Techno. So kann man also umgekehrt aus diesen musikalischen Äußerungen (und sonstigen künstlerischen Äußerungen auch im weitesten, ja trivialen Sinne, etwa Comics, TV, Filme, Werbung usw) das Lebensgefühl der Künstler (Produzenten) und ihres Publikums (Konsumenten) - und damit zumindest eine Art Minimalset an Grundüberzeugungen, Minimalreligion im weitesten Sinne - ableiten.

Religion und Kunst -> Philosophie

schließlich ist klar, dass das Bedürfnis, sich über die eigenen Grundlagen wissenschaftlich klar zu werden, nicht am Anfang steht, sondern aus der Beschäftigung mit den religösen Überzeugungen und künstlerischen Äußerungen erwächst: Theologie, Religionswissenschaft und Religionsphilosophie (als wissenschaftliche Bearbeitungen der Religion) und Kunstwissenschaft und Kunstphilosophie (als wissenschaftliche Bearbeitung der Kunst) entwickeln sich vergleichsweise spät (und jedenfalls weit nach dem ersten Auftreten von Religion und Kunst).

Dass die Wissenschaft/Philosophie der Wissenschaft/Philosophie selbst der natürliche Anfang (als Logik) und Abschluss (als Philosophiegeschichte) einer wissenschaftlichen /philosophischen systematischen Gesamtdarstellung aller Themen der Wissenschaft / Philosophie darstellt, sollte auch logisch / systematisch einleuchtend sein (hierüber gibt es auch keine Differenz zur hegelschen Darstellung).

Rückkopplungskreise - zu den angeblichen quietistischen Konsequenzen des Abschlusses mit der Philosophie

Die angeblich quietistischen Konsequenzen, die der Abschluss des Systems mit der “nur theoretischen” Philosophie nach Ansicht vieler Kritiker (so auch Vittorio Hösle in seinem Buch “Hegels System”) haben soll, lassen sich dadurch begegnen, dass das System ja, wie oben (im Abschnitt “Rückwirkung auf den endlichen Geist”) und an anderer Stelle gezeigt, einen Kreis darstellt (der in einem Buch aber natürlich sequentiell mit einem Anfang und Ende dargestellt werden muss).

Dabei schlage ich vor, die Zirkularität des Systems auch in den folgenden Rückkoppelungen zu denken, dass

  • natürlich die Einsichten in der Philosophie Rückwirkungen auf Religion und Kunst haben (1.“Rückkoppelungskreis,” innerhalb des absoluten Geistes) und weiter
  • Einsichten des absoluten Geistes Rückwirkungen auf die individuelle und kollektive Selbstverständnis und Praxis in sujektiven und objektiven Geist haben (2.“Rückkoppelungskreis,” innerhalb des ganzen Geistes) und,
  • in einem dritten, noch weiter ausholenden Kreis natürlich auch die Gesamtdarstellung des Systems, von der Logik und Naturphilosophie angefangen, den jeweiligen erreichten Stand der wissenschaftlich/philosophischen Einsicht darstellen, also sich mit der Zeit auch ändern (sowohl bei den einzelnen Philosophen wie Hegel selbst, wie auch in der Philosophie insgesamt), wie ja die Philosophiegeschichte zeigt (3.“Rückkoppelungskreis,” das ganze System umfassend).

  1. Dies wurde bereits von Vittorio Hösle in seinem Buch “Hegels System” (Meiner Verlag Hamburg 1988, S.593ff) kritisiert. Folgerichtig kritisiert Hösle auch die Abfolge von Anschauung - Vorstellung - Denken als linear und nicht-dialektisch (Hösle 1988, S.387). Tatsächlich waren diese Argumente von Hösle und die Tatsache, dass Hösle selbst in seinem Buch keine explizite Lösung für dieses Problem gefunden hat, der Beginn meines Nachdenkens über diese Sequenz und damit die Geburtsstunde dieses Artikels.︎↩︎

  2. Auch dies ist bei Hösle in “Hegels System” ausführlich ausgeführt, ergibt sich aber natürlich auch aus Hegels Darstellung selbst (etwa in Enz.§82).↩︎

  3. Die Stelle findet sich in der Suhrkamp TWA in Band 12, S.67-68.↩︎

  4. Man beachte, wie Hegel selber hier nicht nur die Reihenfolge in Religion, Kunst, Philosophie ändert, sondern dass er folglich auch die als Begründung für die “klassische” Sequenz immer wieder (auch von Hegel selbst) genannte Reihenfolge von Anschauung - Vorstellung - Denken (siehe theoretischen Geist) in die mehr dialektische Reihenfolge von Vorstellung - Anschauung - Denken ändert.↩︎